1. Selektive Wahrnehmung durchschauen
Selbstführung ist eine Voraussetzung für erfolgreiche Führung – diese Erkenntnis ist mittlerweile in den Führungsetagen angekommen. Doch welche inneren Hindernisse müssen die Führungskräfte überwinden, welche inneren Saboteure zähmen, um sich selbst und die Anderen erfolgreich führen zu können? Mit diesem Artikel haben wir diese Frage näher betrachtet und thematisieren im heutigen abschließenden Beitrag wie Führungskräfte mit selektiven Wahrnehmungsbeschränkungen umgehen können.
Um eigenverantwortlich sich selbst, Mitarbeiter, Kollegen und Chefs zu führen, braucht es außerdem das Wissen darüber, wie die Wahrnehmung funktioniert. Wir nehmen durch unsere Sinnesorgane wahr und filtern die Informationen, die auf uns einströmen. Als Wahrnehmungsfilter dienen uns die vergangenen Erfahrungen, Einstellungen, Glaubenssätze, Werte, Vorlieben oder Tabus, aktuelle Bedürfnisse, Stimmungen u.a. Tatsächlich lassen wir durch unsere subjektive Filter-Brille nur das durch, was zu unserem Inneren passt. Z.B. Hat ein Vorgesetzter bereits eine schlechte Meinung über einen Mitarbeiter gebildet, wird er im nächsten Mitarbeitergespräch vor allem das Verhalten wahrnehmen, das zu dieser Meinung passt. Ist man in einem konservativen Umfeld geprägt worden, wird es Einem
im Sinne der selektiven Wahrnehmung möglicherweise schwerfallen, die innovativen Ideen der Teammitglieder anzunehmen… All diese Filterprozesse verlaufen in Sekundenschnelle. Zeitgleich interpretieren und bewerten wir das Wahrgenommene auf der Grundlage unserer individuellen Filter und erschaffen dadurch Gefühle, die unser Handeln beeinflussen. Sprich: Um Situationen richtig einschätzen zu können, braucht es die Einsicht, dass das, was wir für wirklich halten, unsere individuelle Kreation ist und dass unser Gegenüber dieselbe Situation höchst wahrscheinlich anders sieht. Diese konstruktivistische Erkenntnis, dass die Wirklichkeit einer subjektiven Natur ist, stößt bei vielen Vorgesetzten ebenso auf Widerstände. Es schließt sich daraus, dass sie als Führungskräfte allein für ihre Gefühle verantwortlich sind, und dies macht die manchmal bequeme Opfer-Täter-Haltung unmöglich.
Es liegt auf der Hand, dass die Saboteure in unserem Inneren stark sind und dass Selbstführung viel Mut, Ehrlichkeit und Achtsamkeit abverlangt. Damit diese auch nachhaltig gelingt, braucht es seitens der Führungskräfte ein klares Commitment – tagein, tagaus. Sind Sie bereit?
2. Kontakt mit sich selbst
Den ersten Selbstführungs-Saboteur werden Sie möglicherweise spüren, wenn Sie in den nächsten Zeilen lesen, dass es gleich psychologisch wird. Denn Selbstführung beginnt für uns damit, dass man mit sich selbst in Kontakt geht – so wie man es üblicherweise mit einem anderen Menschen tun würde: hinschauen, fühlen, reflektieren, zuhören… Das, was so einfach klingt, fällt vielen Menschen schwer, und dafür gibt es einen Grund.
In unserer frühesten Kindheit wurden wir für gewöhnlich darauf konditioniert, sich an die Erwartungen unserer Bezugspersonen anzupassen und entsprechend ihren Bedürfnissen zu funktionieren. Unser authentischer Selbstausdruck war häufig nicht erwünscht. Für ein Kind ist es eine schmerzliche Erfahrung, die es nur bewältigen kann, wenn er die Gefühle und damit einen Teil seines Selbst abspaltet. Sprich: Nicht in Kontakt mit sich selbst zu gehen, ist somit eine kindliche Überlebensstrategie, die zur Zeit ihrer Entstehung eine wichtige lebenserhaltende Funktion hatte. Als Kinder waren wir von unseren Eltern abhängig. Als erwachsene Menschen befinden wir uns in einer anderen Situation und können selbst für uns sorgen. Auf die eigenen Bedürfnisse hören, für sich sorgen, selbstbestimmt und autonom das tun, was sich stimmig anfühlt (obwohl die Eltern es möglicherweise missbilligen würden), gehört zu den wichtigsten Selbstführungs-Kompetenzen.
Bleibt eine Führungskraft jedoch in ihrer kindlichen Überlebensstrategie gefangen, behindert sie seine Entwicklung. Unbewusst ist man dann nach wie vor bemüht, den Erwartungen der Eltern zu entsprechen, statt das ins Leben zu bringen, was der eigenen Identität entspricht. Eine Vorgesetzte, die nicht mit sich selbst verbunden ist, wird zudem Schwierigkeiten haben, einen wirklichen zwischenmenschlichen Kontakt zu den Mitarbeitern zu knüpfen. Man kann noch so viele Kommunikations- oder Leadership-Seminare besuchen: Wenn der Austausch rein instrumentell stattfindet, werden die Mitarbeiter mit so einer Führungskraft nicht warm.
3. Fühlen enttabuisieren
Kontakt mit sich selbst ist für viele insofern gefährlich, als dass man sich selbst dann zu fühlen beginnt. Während die deutsche Business Kultur gerade in Fragen Fachlichkeit und Sachlichkeit zu den weltweiten Champions gehört, werden Emotionen vielerorts in deutschen Unternehmen noch stark tabuisiert und als Zeichen von Inkompetenz und von Schwäche gesehen. Ein weiterer innerer Saboteur könnte beim Thema Fühlen an die Oberfläche treten, weil das Fühlen, anders als bei Zahlen, Daten, Fakten, häufig mit Kontrollverlust, Unberechenbarkeit und Ohnmacht assoziiert wird. Viele Führungskräfte haben nie gelernt, konstruktiv mit diesen Gefühlen umzugehen.
Und doch ist die Selbstführung unserer Ansicht nach ohne Fühlen nicht möglich. Nun wenn man das Fühlen erlaubt, wird Einem erst wirklich der Kontakt mit dem eigenen Selbst möglich. Erst dann bekommt man als Führungskraft Zugang zu eigenen Bedürfnissen und kann spüren, z.B. wann die eigenen (oder die fremden) Grenzen überschritten werden, welches Verhalten oder Entscheidungen stimmig sind und wie man die Mitarbeiter individuell ansprechen kann. Verhalten ohne das Zurückgreifen auf die eigene emotionale Intelligenz ähnelt einem blinden Schießen. Vielleicht gibt es ja hin und wieder einen Zufallstreffer. Wenn man aber neben der kognitiven Ebene auch die intuitive nutzt, wozu uns unter anderem Peter Senge mit seinem Konzept von Personal Mastery rät, erhöht man enorm die Erfolgswahrscheinlichkeit.
4. Sich kennen
Ein sich selbst führender Mensch ist bemüht, sich kennen zu lernen und zu verstehen. Das ist ein fortwährender Prozess, bei dem es nicht nur ums Wahrnehmen und Reflektieren des eigenen Verhaltens, sondern viel mehr ums Verstehen der unbewussten Ursachen und Motive hinterm Verhalten. Gerade in Deutschland haben wir es mit einer sehr sachlichen Business Kultur zu tun: Die Bedeutung der rationalen Ebene in Sachen Führung wird stark überschätzt. Dabei belegt die neurobiologische Forschung, dass vor allem das Unbewusste maßgeblich die Wahrnehmungs-, Denk- und Entscheidungsprozesse beeinflusst. Das Unbewusste ist immer schneller und mächtiger und lädt uns dazu ein, uns einzugestehen, dass es immer eine große unbekannte Dimension in uns gibt. Das Sokrat‘sche „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ rührt von einer demütigen Haltung her und stößt beim sabotierenden Ego vieler Führungskräfte auf Widerstand.
Um diesen blinden Fleck kleiner zu machen und Führungsverhalten bewusster zu gestalten, braucht es das Wissen über die eigenen Prägungen, Konditionierungen, Haltungen, Glaubenssätze und Muster. Denn aus Prägungen entsteht Haltung, aus einer Haltung entsteht Verhalten und schlussendlich Wirkung einer Führungskraft. Lernt man diese bei sich selbst zu sehen, wird man zu einem Sehenden bezogen auf die Mitarbeiter. Bleibt man bezogen auf das eigene Innere blind, so wird man auch bei den Mitarbeitern wenig erkennen können.
5. Verantwortung übernehmen und Verletzlichkeit zulassen
Jemand, der sich selbst führt, kennt seine Stärken und baut sie aus. Zeitgleich übernimmt man die Verantwortung für das eigene Wohlsein. Man entwickelt Bewusstsein über die eigenen Erwartungen, z.B. gerichtet an die Mitarbeiter oder an die Chefs, bezüglich Lob und Anerkennung. Statt diese von außen zu erwarten, lernt man, sich selbst wertzuschätzen, zu bestärken und zu ermächtigen. Man schenkt sich selbst die Aufmerksamkeit und gibt sich selbst Raum, indem man die eigenen Bedürfnisse ernst nimmt. Um diese richtig zu erkennen, braucht es eben den Kontakt zu den eigenen Gefühlen. Durch diesen verantwortungsvollen Umgang mit sich selbst steigt die Führungskraft aus der Opfer-Täter-Dynamik aus, die in Teams weit verbreitet ist: Häufig fühlen sich die Vorgesetzten als Opfer der „schwierigen“ Mitarbeiter oder umgekehrt. Die Folge der unerfüllten, nach außen projizierten Erwartungen ist immer Enttäuschung und Kampf. Man wird blind für all die Möglichkeiten und Lösungen, die im eigenen Einflussbereich zu finden sind, und vergisst, von seiner Schöpferkraft Gebrauch zu machen.
Neben den Stärken ist es aber ebenso wichtig, die so genannten Schwächen, die eigenen wunden Stellen, im Inneren zu kennen. Keiner gibt gerne zu, dass es sie gibt. Gerade in der Geschäftswelt ist das Bild einer erfolgreichen Führungskraft durch Härte, Unverwundbarkeit, Bestimmtheit und Durchhaltevermögen geprägt. Man müsse die Verletzungen dementsprechend wegstecken. Und so fiel es vielen Seminarteilnehmern unserer Führungsseminare schwer, die Annahme von Schulz vom Thun zu akzeptieren, dass es in jedem von uns ein Inneres Team mit den inneren Teammitgliedern gibt. Darunter finden wir unter Umständen auch verletzte, bedürftige oder unsichere Gestalten, die es zu führen, zu ermutigen und zu stabilisieren gilt. Sich selbst die eigene Verletzlichkeit einzugestehen, stellt für viele, gerade männliche, Führungskräfte eine große innere Hürde dar. Man verneint, unterdrückt oder bekämpft die „Schwächen“, um den vermuteten Erwartungen im eigenen Umfeld zu entsprechen und Gesicht zu wahren. Das Ergebnis ist ein enormer innerer Druck, Energieverlust und – auf Dauer – persönliche Stagnation. Ohne die Akzeptanz der eigenen Verletzlichkeit und Bereitschaft, sich um die inneren Entwicklungsaufgaben zu kümmern, ist kein persönliches Wachstum, keine Stabilität und keine Selbstführung möglich. Kommt man aber zu einer bedingungslos wertschätzenden Haltung sich selbst gegenüber und tut man etwas Gutes für sich, auch in Situationen, in denen man schwächelt oder gar scheitert, erschafft man eine stabile Basis, um sich erfolgreich zu regulieren. An dieser Stelle sei angemerkt: Eine gesunde Selbstkritik auf der Grundlage eines Ist-Soll-Abgleiches finden wir ebenso wichtig.